Familie Jahnel

Der Weg der Familie Jahnel vom Mittelalter bis in die heutige Zeit.

Als junger Mensch erfuhr ich kaum etwas über die Herkunft meiner Familie. Wenn überhaupt, dann erzählte Vater etwas über den Krieg und über Breslau, seinem Geburtsort.  Alles andere schien verdrängt zu sein.

Erst als uns mein Großonkel Hans Jahnel mit seiner Frau Anni in unseren Ferien im Jahr 1968 besuchte, fragte ich meine Eltern, warum beide in so einem „komischen“ Dialekt sprachen. Da erfuhr ich, dass die Familie aus Tichlowitz kam und dort alle so geredet haben. Weitere Informationen gab es nicht. Ich war damals 12 Jahre und war mit der Antwort auch erst einmal zufrieden.

Ca. 6 Jahre später bekamen wir Post von einem entfernten Onkel aus Nürnberg. Er war auf der Suche nach seiner bzw. unserer Familie und fragte meine Eltern, ob sie ihm dabei helfen würden. Gesagt, getan. Alle Namen und Daten waren schnell zusammengetragen und nach Nürnberg geschickt. Als Dank erhielten wir später die erste Ahnentafel mit ca. 80 Familienmitgliedern.

Wiederum einige Jahre später bekam ich einen Brief von Onkel Hans in dem er mir mitteilte, dass mein Bruder und ich die einzigen Namensträger der riesigen Familie Jahnel sind und er sicherstellen wollte, dass alle Dokumente, Bücher usw innerhalb der Familie bleiben, sofern wir das wollten.

Onkel Hans hatte zu diesem Zeitpunkt fest daran geglaubt, dass mit ihm – er war kinderlos – die Liebe und das Erinnern an die Heimat beendet werden würde.

Weit gefehlt, denn ich machte mich mit meiner Frau vom Ruhrgebiet nach Frankfurt/Main auf den Weg und erfuhr in an diesem Tag und in vielen folgenden Treffen und Briefen einfach „alles“ über sein geliebtes Tichlowitz.

Parallel machte ich mich ans Werk, um die Ahnentafel von Onkel Franz aus Nürnberg zu vervollständigen. Bis Mitte der 1990iger Jahre hatte ich dann über 1000 Familienangehörige von den USA über Frankreich bis in die damalige DDR zusammengetragen.

So nach und nach gelangten weitere Dokumente der Familie in meinen Besitz, so dass ich auch die Wege der Familie sehr genau zurückverfolgen konnte. Besuche in Archiven, Bibliotheken sowie Fahrten in die alte Heimat füllten weitere Lücken.

Die Wege der Familie:

bis ca. 1770 Jägersdorf (Lada) bei Böhmisch Leipa (Česká Lípa)

Die Familie lebte in Jägersdorf bei Böhmisch Leipa und Oberliebich (Horní Libchava). Stammvater war Tobias Jahnel verheiratet mit Susanna (Klingertin?) Beide heirateten im Jahr 1752 in Jägersdorf.

Aus dieser Ehe gingen 5 Kinder hervor, wobei nur meine Linie weiter bekannt ist. 3 Kinder starben am Kindstod; die Linie von Johann Frantz Jahnel * 1760 ist noch unbekannt. Auch etwaige Geschwister von Tobias Jahnel wären noch zu erforschen.

Jägersdorf (Lada) ist heute ein Ortsteil von Böhmisch Leipa. Die damalige Dorfstraße ist – im Vergleich alter und neuer Karten - auch heute noch erkennbar. Leider finden sich – bis auf eine zu einem Wohnhaus umgebaute Kapelle - keine weiteren Spuren der ehemals deutschen Bevölkerung.

bis ca. 1800 Kaiserswalde ( Císařský ) bei Schluckenau (Šluknov) im Nordböhmischen Niederland

Etwas verwirrend ist hier der Lebensweg von Tobias Jahnel. Zum einen heiratete er in Jägersdorf; seine Kinder kamen an beiden Standorten (Jägersdorf und Kaiserswalde) zur Welt. Tobias Jahnel starb letztendlich vermutlich in Jägersdorf.

In den Jahren 1772 und 1773 herrschte wieder überall so große Hungersot. dass in Böhmen in 2 Jahren 250 000 Menschen, das ist über die Hälfte der Bevölkerung, starben. Zahlen aus dem Niederland liegen nicht vor. Trotz dieser großen Not schlossen sich die Niederländer im Jahr 1775 nur in geringem Maße dem allgemeinen Bauernaufstand an.

Es ist zu vermuten, dass Tobias zwischen beiden Wohnorten zeitweise pendelte. Beide Orte lagen 40 km auseinander am sogenannten „Böhmischen Steig“, der Prag als Handelsstraße mit Sachsen verband.

Des Weiteren verdingten sich zu dieser Zeit auch Lohngesellen, die ihre Arbeiten in der aufstrebenden Industrie im Niederland verrichteten.

Gleichzeitig erfolgte die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Auflösung der Meierhöfe und die Verteilung von Grundeigentum an das Volk.

Inwieweit Tobias damit etwas zu tun hatte, wird im Dunkel der Geschichte vermutlich liegen bleiben.

bis ca. 1885 Zeidler (Brtníky)

Die Familie zog um nach Zeidler in das Haus 43 und später in das Haus 175 zur „Alten Post“. Johann Georg Jahnel war seit 1791 mit Maria Miller verw. Palme verheiratet. Beide bekamen 7 Kinder, wobei 5 Kinder den Kindstod starben.

Maria Rosalia als ältestes Kind bekam im Jahr 1815 ein uneheliches Kind mit Namen Franz. Erst 1824 heiratete sie Johann Palme und hatte mit weitere Kinder.

Der Kindstod war in dieser Zeit nichts Außergewöhnliches; ein uneheliches Kind aber schon eher. Bedenkt man, dass zu dieser Zeit die napoleonischen Kriege stattfanden und das Niederland immer ein Aufmarschgebiet für Truppen unterschiedlichster Nationalitäten war, könnte man mit etwas Fantasie über die genannten Folgen nachdenken.

Ein kleiner Hinweis dazu wäre auch die von mir in Auftrag gegebene DNA Probe, die besagt, dass im Ergebnis eine hohe Zuordnung zur ethnischen Gruppe der Engländer nachgewiesen wurde.

Franz Jahnel heiratete 1843 Maria Theresia Hille. Beide bekamen 9 Kinder, wobei von 4 Kindern keine weiteren Daten und Lebensläufe bisher bekannt sind.

bis 1945 Kreis Tetschen Bodenbach (Decin)

Alle anderen 5 Kinder verließen so nach und nach Zeidler. Es hieß aus wirtschaftlichen Gründen.

1.      Franz Jahnel, der Älteste zog es nach Eger;

2.      Josef Jahnel nach Wolfsberg

3.      Johann Jahnel (mein Urgroßvater) wurde Gastwirt und kam letztendlich nach Tichlowitz

4.      Rosalia Jahnel nach Hainspach – blieb kinderlos

5.      Maria Theresia Jahnel nach Bodenbach

Franz Jahnel (1) war Kriegsveteran und nahm am Deutschen Krieg teil. Er hatte 2 Kinder, wonach sein Sohn Franz Jahnel eine Berühmtheit in Zusammenhang der Ausübung und Bewertung von sportlichen Ereignissen gewann. Weiterhin war er einer der Pioniere im Gitarrenbau.

Franz Jahnel war auch derjenige, der den Grundstock zu unserer Familienchronik erarbeitete.

Seine Enkelin Sabine lebt heute als einzige Nachfahrin dieses Familienzweiges mit ihrer Familie in den USA Florida.

Josef Jahnel (2) heiratete Anna Kepler. Sie lebten in der Nähe von Zeidler in Wolfsberg und bekamen 2 Kinder Josef * 1873 und Anna * 1878. Anna heiratete Heinrich Freeriks. Sie bekamen 2 Kinder Rudolf *1898 und Gertrud * 1900. Rudolf fiel im 2. Weltkrieg und hatte keine Nachkommen. Gertrud heiratete Bruno Kastner. Sie lebten in Bischofswerda und hatten (wahrscheinlich) keine Kinder.


Maria Theresia Jahnel (5) heiratete im Jahr 1884 Gustav Stolz aus Niedergrund. Beide bekamen 10 Kinder. Die gesamte Familie lebte bis zur Vertreibung in Bodenbach und Umgebung. Die Aufarbeitung der Daten der riesigen Schar der Nachkommen war eine besondere Herausforderung. Heute lebt dieser Familienzweig vornehmlich in den ostdeutschen Bundesländern.

Folgende Nachnamen gingen aus diesem Familienzweig in der 1. Nachfolgegeneration hervor: Dömel – Basler – Gögginger – Mörl – Mildner – Gleißner – Patzelt und Kunert

In der 2. und 3. Nachfolgegeneration:

Freitag – Lösing – Haag – Hübner – Vieracker – Schmitz – Lutz – Wiederoder – Peh – Kügler -Naaß – Wright – Ray – Havel – Lafsa – Krobot – Goldstein – Knop – Roßband – Röthke – Behmel – Bayer -Pöggel – Lüttke – Felix -

Johann Jahnel (3) -  mein Urgroßvater - war ein ganz besonderer Mensch seiner Zeit.

Er erlernte in Zeidler den Beruf des Strumpfwirkers und heiratete im Jahr 1874 Franziska Jentsch. Mit ihr hatte er 2 Kinder: Heinrich Jahnel *1878 (mein Großvater) und Klementine *1884

Unter bisher nicht geklärten Umständen verstarb 1896 Franziska Jentsch im Alter von knapp 50 Jahren.

Klementine Jahnel heiratete Josef Fritsche und bekam 3 Kinder. Die Nachfahren leben heute im Raum Frankfurt/Main und in Salzwedel.

Bereits 2 Jahre später heiratete er Mathilde Weiß im Jahr 1898 vermutlich zum Unmut seiner beiden Kinder. Es war einer der Gründe, warum mein Großvater Heinrich Jahnel dann nach Breslau ins Deutsche Reich auswanderte.

Johann bekam mit Mathilde nochmals 2 Kinder Aurelia Jahnel * 1899 und Johann Jahnel * 1905.

Er wurde zum Gastwirt und sein Traum war es, einen Gasthof selbst zu besitzen. Auf diesem Weg dahin führte er ab ca. 1900 nacheinander folgende Gasthöfe:

Schützenhaus Hainspach – Brauhaus Theresienstadt – Gasthaus zur Eisenbahn in Niedergrund –

Letztendlich kam er dann 1912 nach Tichlowitz und übernahm dort das spätere Turnerheim von der Familie Pechanz.

Aurelia Jahnel heiratete Rudolf Peh. Nach der Vertreibung lebte die Familie mit Sohn Rüdiger in Weimar und später in Rostock/Warnemünde.

Dem Gastwirt  – Johann Jahnel – folgte sein Sohn Johann nach seinem Tod im Jahr 1925 zunächst zur Unterstützung seiner Mutter und kaufte zum Ende der 1930iger Jahre den Gasthof „Turnerheim Jahnel“ und führte ihn bis zur Vertreibung im Jahr 1945 mit seiner Frau Anni allein weiter.

Johann (Hans) Jahnel war nach dem Krieg ab 1953 wesentlich um den Zusammenhalt der alten Dorfgemeinschaft bemüht. Auf seine Initiative hin trafen sich jährlich die Tichlowitzer zum Heimattreffen zunächst in seinem neuen Gasthof in Frankfurt/Main und später in München, Stuttgart und anderswo. Das letzte Treffen fand 2019 statt und wurde „nur“ wegen Corona unterbrochen.

Über Johann Jahnel und über sein Wirken wird an anderer Stelle noch intensiv berichtet.

Heinrich Jahnel - mein Großvater – heiratete im Jahr 1910 – Anna Fiebig * 1888 in Breslau. Beide bekamen 9 Kinder. Als 3. Kind kam mein Vater Johannes Jahnel *1916 zur Welt.


Heinrich Jahnel arbeitete als Buchhändler in Breslau und starb bereits kurz nach seiner Silbernen Hochzeit im Jahr 1939. Seine Frau – Anna – hatte nun die schwere Aufgabe, die große Familie zusammen zu halten. Die Jungen wurden in die Wehrmacht eingezogen, die Mädchen erlernten Berufe zumeist im sozialen Bereich.


Mein Vater Johannes (Hans) war zunächst bei der Arbeitsfront und wurde später in die Reichswehr übernommen. Er erlebte viele grausame Jahre an der russischen Front, wurde mehrfach verletzt und geriet in russische Gefangenschaft, die er körperlich sehr angeschlagen nur knapp überlebte.

Anfang 1945 kam die Front näher und die Flucht musste vorbereitet werden. Anna (meine Großmutter) war davon überzeugt, dass die Flucht nur vorübergehend sein würde und rechnete mit einer baldigen Rückkehr in das geliebte Breslau. 

Ein kurzer Aufenthalt in Tichlowitz wurde durch eine Ausweisung der „Deutschen“ beendet. Die kleine Familie zog also wieder nach Norden und musste in einer gewissen Entfernung die Bombennacht miterleben, die über Dresden hereinbrach.

Man kam bei einem Bauern unter und half ihm als Gegenleistung bei der Feldarbeit. Die große Tochter Ursula hatte sich zu dieser Zeit bereits auf den Weg in den Westen aufgemacht und konnte bald, unter Zuhilfenahme des Roten Kreuzes  und einer befreundeten Familie, die gesamte Familie an den Niederrhein holen.

Es war ein großes Glück, dass die gesamte Familie unversehrt aus dem Krieg kam und sich auch schnell wiederfand. Alle sahen Breslau nie wieder.

Heute ist dieser Familienzweig vornehmlich in Nordrhein-Westfalen aber auch in Frankreich zu Hause. Mittlerweile in der 10. Generation.

Die Geschichte einer Sudetendeutschen Familie wird fortgeschrieben.